Als mich ein alter Bekannter (einer der Art, die man immer mal zufällig trifft, bis man beschließt endlich mal was zu machen) neulich zur Entlangführung seines neuesten Werkes, samt Erklärung und Erheiterung einlud; konnte ich diesem Teil des wunderbaren, einzigartigen Abends nicht folgen, weil ich gezwungen war meine Eindrücke in Echtzeit auf knapp hundert Metern in mein Handy zu hacken.
Für meine Generation ist das noch etwas Befremdliches, für mich nicht mehr. Spontaneous Stream of Conscience Combustion. Darin war ich leider so vertieft, dass ich (glaube ich) eine andere alte,lang verschollene Freundin nicht erkannt habe, obwohl wir uns sogar kurz unterhielten. Naja, unterhalten...Ich habe kurz höflich genickt und wieder in mein Handy gestarrt. Auf der Heimfahrt quälte mich dann so ein Widerborst im Kleinhirn: Die kennst du doch! Dafür bitte ich demütigst um Verzeihung, hoffend: Beim nächsten Mal treffen wir uns in der U-Bahn. Aber ich konnte da nicht raus, weil:
—Tunnelblick. Phänomen der
Perspektivlosigkeit. Gewöhnlich
bezeichnet man damit eine
auswegslose Konzentration auf einen
Punkt, eine Sache, ohne nach links und
rechts zu schauen, jenseits von
Vernunft oder Horizont. Das kommt
dem Ganzen nahe. Ein Mensch steht
monatelang, tageintagaus an einer
Wand, stets nur einen Punkt vor sich,
dem er sich widmet und links und
rechts gibt es zwar Portale zur
Außenwelt, aber die nimmt man nur
wahr, um morgens zu kommen,
abends zu gehen und dazwischen
wenn einem das stetige pätschern
der Würm im Rücken zu viel wird.
Weil man soachen muss, wie ein Ross.
Der aus dem exotischen Sendling
zuagroaste Pasinger Künstler
Martin Blumöhr hat diesen Tunnelblick
neu definiert. Ihn mit Weite gefüllt,
seinen Horizont erweitert.
Er hat einen Unort, den man
nur betritt, wenn man auf die andere
Seite will, den Schritt beflügelt vom
Donnern der Züge, die den viertgrößten
Bahnhof Bayerns frequentieren.
Er hat im Auftrag der Bürgerschaft
Pasings diesen Unort mit dem Geist
des Ortes erfülllt. Von Anfang bis Ende.
Über eine Gesamtlänge von 90 (oder so)
Metern erstreckt sich nun eine
psychedelische Lüftlmalerei entlang
der zweispurigen Radltransitstrecke,
in dreimonatiger, mühseligster Fitzelarbeit
auf Steinwand gebannt. Es ist schwer zu
fassen, das Werk. Seine zusammengesampelten
Bausteine untrennbar, sie fliessen der
Würm entgegen. historisch wohl
gesehen, in der räumlichen Realitat des
Künstlers angeordnet. Dass Grafitti
oide Pasinger, Künstler, Touristen,
Arbeiteitsgäste, Druffis, Kinder,
Archivare, Offizielle gleichermaßen anspricht
und an diesem – jetzt – Ort zusammenbringt,
liegt an dem unglaublichen Spektrum, das sich
hier, für jedem gleichsam, auftut.
In diesem Pandaemonium findet jeder ein Trumm.
Detailverliebt widmet sich B. jedem Aspekt tiefgehend
und gleichwertig, er hat
geschaut, zugehört, recherchiert,
Passanten und Schaulustige
eingebaut, auch Lieder, die man für ihn
gespielt hat. Nachbarn brachten
Essen, Spaziergänger blieben stehen.
Einige kamen amoi schaung wos des
is do. Und es gibt was zum Schaung.
Mit der Blutenburg beginnt er, vor der
im Mittelteralter getanzt wird, wohl
Hochzeit gefeiert, Schwänen gehuldigt,
dann einige Manner Hoibe saffan.
Einer kommt wohl vom Isi in der
Sonnenstrasse, nachdem sogar der
Sperrstund hat. Excess an diesem
beschaulichen Ort ist gar nicht so
befremdlich für den, der das
allsommerliche Weinfest
dort einmal besucht hat in der guten
alten Zeit (den 90ern). Mittlerweile
wird es gut beschützt von grünen
Hundertschaften, wenn die Geldigen in
historischem Ambiente ihren
Schoppen verkosten. Eigentlich ist
man jetzt noch in Obermenzing, doch
die Reise beginnt. Noch ist es recht
sittsam, doch spätestens am
Bahnhof wird es wild. Der Wahnsinn
fahrt Bahn in Form von Pendlern; nach
München, Paris, Budapest und Wien
ist man angebunden im
Berufsverkehr. Außer die Bahn
kommt nicht. Eine stolze Stadt war
man seit jeher gewesen,
wie der oide Pasinger weiss,
bevor Hitler einkassiert hat mit
dem Ziel seine Hauptstadt der
Bewegung in Richtung Million zu
mästen. Das vormalige Geschmier
hat sie wohl kaum so interessiert, wie
die heimatlichen Details, die sich hier
tummeln. Krankenhaus, Kirchen,
Bürgerhäuser, Künstlerkolonie,
Gründerzeitwalmdach, der kleine
Markt, es war scho schee, aber wird
nicht kitschig! Genausowenig wie sich B.
schmeichelt, wenn er sich selbst
hineinmalt, wie er das Bild malt (eher
zitiert er dabei manierlich die alten
Tags einen Moment lang, kurz bevor
er sie verschwinden
lässt, sorry for crossing, so wenig
schmeichelt er Pasing, wenn
apokalyptische Neubauten,Wohnblocks,
Konsumhorden, einen
urbanen Wahn heraufbeschwören, der
den Ort unweigerlich zu Submünchen
macht. Doch das ist wellenförmiges
Kommen und Gehen. Mit feinem Strich
setzt er Maibäume dazwischen, die
Kunst der pasinger Fabrik (dann wieder
ein Fabrikling, Kind im
Jugendalter der Industrialisierung).
Im Freibad spielen Kinder und auf dem
Spielplatz OGs, fleißige Handwerker,
der Aloisius sieht sie alle von seiner Wolke.
Prost, Dionysos. Fratzen,
verzogen vom Künstlerschmerz,
Gsichtschwammerln, wie sie wohl nicht (mehr)
in der Aubinger Lohe wachsen.
Alte Dampflok: fein wie Gravur, Hexenschuss!
Legendäre Knedlflak, oben mäandert
Minuskel im Tango mit Tags,
Manche wohl noch aus den achzigern.
Da lateinert Stadtgründung, flow'd
beurkundlicht zwiefacher, mittags.
Agnes Bernauer: bevor sie in den fluss
geschmisse. Ein Märchen, ein Traum,
eine Rundreise durch die Raumzeit der
Suburbs, Kupferstich, in of the Court of the
Crimson King. Kirchenmalerisch hat er
diese Wand behandelt, samt Freilegung
alten Putzes und Herztransplantation.
Am Anfang der Arbeit noch ideenlos
steht wirbelndes Chaos, lang gelernte
vertraute Formen aus dem Handgelenk.
Dann kommen die Bilder, die
Erinnerungen, dann die Geschichten.
Am End steht eine Kunst, die nicht
in ein Museum gehört, sondern
unter'd Leit.—
Zum Nachvollziehen (Ersetzt nicht Hinfahren und Anschauen). Text ist weitestgehend in Originalzustand, nur etwas zurechtgerückt und mit Umlauten und Komposita versehen).
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